Da ist eine wunderschöne Waldlichtung
(Umgeschriebenes Märchen nach dem Buch: "Da ist eine wunderschöne Wiese" von W. Harranth und W. Opgenoorth, erschienen im Verlag Jungbrunnen, Wien-München, 4. Auflage, 1990;)
Kurzfassung
Am Sonntag fahren die Stadtleute aufs Land. Wo es ihnen gefällt, machen sie Rast.
"Da ist eine wunderschöne Waldlichtung!" sagt Herr Timtim. "Mit guter Luft und Blumenduft. Mit schattigen Bäumen und Wolken zum Träumen. Mit Amseln, mit Schmetterlingen und mit Regenwürmern."
"Jawohl!", sagen auch die anderen Stadtleute. "So eine hübsche kleine Waldlichtung! Hier wollen wir bleiben."
"Keine Autos und keine Straßen!" sagt Herr Timtim. "Keine grauen Häuser und keine stinkenden Fabriken."
"Nein", sagen auch die anderen Stadtleute. "Hier ist nichts als Waldwiese. Und dabei soll es bleiben."
"Allerdings...", sagt Herr Timtim. "So viele Leute auf einem Fleck! Das ist unpraktisch. Da tritt ja einer dem anderen auf die Zehen. Tja, was machen wir denn da? Ich hab's: Wir müssen Zäune bauen."
"Jawohl", sagen auch die anderen Stadtleute. "Hübsche, kleine Zäune. Zäune sind praktisch. Jeder soll seinen eigenen Platz haben. Schließlich ist die Lichtung groß genug."
"Allerdings...", sagt Herr Timtim. "Immer diese Kletterei über die Zäune! Das ist unpraktisch. Tja, was machen wir denn da? Ich hab's: Wir müssen Straßen bauen."
"Jawohl", sagen auch die anderen Stadtleute. "Hübsche, kleine Straßen. Straßen sind praktisch. Jeder soll ganz leicht zu seinem Platz kommen. Schließlich ist die Wiese groß genug."
"Jetzt ist es schön hier", sagt Herr Timtim. "Jetzt können wir sogar mit dem Auto herfahren."
"Jawohl", sagen auch die anderen Stadtleute. "Und wir bringen alles mit, was man auf einer Waldlichtung so braucht: einen Aufklapp-Tisch und einen Aufblas-Fisch, ein paar Liegedecken und ein Plastikbecken und ein Camping-Klo und ein Radio. Jeder soll es sich bequem machen können. Schließlich ist die Wiese groß genug."
"Allerdings...", sagt Herr Timtim. "Wenn es regnet, werden wir alle patschnass. Das ist unpraktisch. Tja, was machen wir denn da? Ich hab's: Wir müssen Häuser bauen."
"Jawohl", sagen auch die anderen Stadtleute. "Hübsche, kleine Häuser. Häuser sind praktisch. Jeder soll sein eigenes Haus haben. Schließlich ist die Wiese groß genug."
"Jetzt ist es schön hier", sagt Herr Timtim. "Jetzt können wir sogar übers Wochenende bleiben."
"Jawohl", sagen auch die anderen Stadtleute. "Und wir bringen alles mit, was man in einem Haus so braucht: einen Tiefkühlschrank und einen Heizöl-Tank, einen Gartengrill und ein Computerspiel, einen Rasenmäher und einen Farbfernseher. Jeder soll aus seinem Garten etwas machen können. Schließlich ist die Waldlichtung groß genug."
"Allerdings...", sagt Herr Timtim. "Die armen Autos stehen immer im Freien und setzen Rost an. Das ist unpraktisch. Tja, was machen wir denn da? Ich hab's: Wir müssen Garagen bauen."
"Jawohl", sagen auch die anderen Stadtleute. "Hübsche, kleine Garagen. Garagen sind praktisch. Jeder soll seine eigene Garage haben. Schließlich ist die Wiese auf der Waldlichtung groß genug".
"Allerdings...", sagt Herr Timtim. "Noch immer müssen wir zur Arbeit in die dumme Stadt. Das ist unpraktisch. Tja, was machen wir denn da? Ich hab's: Wir müssen eine Fabrik bauen."
"Jawohl", sagen auch die anderen Stadtleute. "Eine hübsche, kleine Fabrik. Fabriken sind praktisch. Jeder soll hier sein Geld verdienen können. Schließlich ist die Lichtung groß genug."
"Allerdings...", sagt Herr Timtim. "Noch immer müssen wir zum Einkaufen in die dumme Stadt. Das ist unpraktisch. Tja, was machen wir denn da? Ich hab's: Wir müssen ein Kaufhaus bauen."
"Jawohl", sagen auch die anderen Stadtleute. "Ein hübsches, kleines Kaufhaus. Kaufhäuser sind praktisch. Jeder soll bekommen können, was er braucht. Schließlich ist die Waldwiese groß genug."
Und als die Schule fertig ist und das Postamt und der Bahnhof und das Büro-Hochhaus, sagen die Stadtleute: "Jetzt ist es schön hier. Jetzt sind wir endlich keine Stadtleute mehr. Jetzt sind wir endlich Waldwiesenlichtungsleute."
"Allerdings...", sagen plötzlich die Kinder. "Wo sollen wir denn jetzt spielen? Nirgendwo ist Platz für uns, und auf der Straße ist es zu gefährlich. Also früher war es hier viel schöner."
"Seid still!", sagen die Waldwiesenlichtungsleute. "Seid nicht undankbar. Man kann nicht alles haben. So groß ist unsere Waldlichtung nun auch wieder nicht."
"Allerdings...", sagt plötzlich Herr Timtim. "Ich höre keine Bienen summen, ich höre nur noch Autos brummen, ich rieche keinen Rosenduft, ich atme nur noch Hustenluft... Also früher war es hier wirklich viel schöner."
"Sei still!", sagen die anderen Waldwiesenlichtungsleute. "Sei nicht undankbar. Man kann nicht alles haben. So groß ist unsere Waldlichtung nun auch wieder nicht."
Am Sonntag kommen die Stadtmenschen aus der Stadt zu den Waldwiesenlichtungsleuten auf Besuch.
"Herzlich willkommen!" sagt Herr Timtim. "Nun, wie findet ihr unsere Waldlichtung?"
"Gar nicht", sagen die Stadtmenschen. "Wo ist sie denn? Bei euch sieht es auch nicht anders aus, als bei uns."
"Allerdings...", sagt Herr Timtim.
"Allerdings...", sagen auch die anderen Waldwiesenlichtungsleute.
"Tja, was machen wir denn da? Ich hab's: Wir müssen nur... Kommt mit!"
Da steigen alle in ihre Autos und fahren und fahren...
...bis sie zu einer wunderschönen Waldlichtung kommen.